Montreal

Schneebedeckt begrüßt mich Montreal mit -24 Grad und Sturm. Im Sommer muss es hier sehr schön sein. Von Straßencafés, Festivals und Festen ist die Rede. Besonders in der verschnörkelten Altstadt (vieux Montreal) kann ich mir solch Szenerien vorstellen.
Montreal
Jetzt jedoch bedeutet jeder Meter auf Montreals eisbedeckten Fußwegen fast Lebensgefahr.
Nichts desto trotz erledigt der vermummte Einwohner schlitternd seine Einkäufe in der Rue Saint Catherine und wärmt sich in Restaurants der Rue Saint Denis oder Rue Saint Laurent, so wie ich mich in den Bars. Doch Montreals Bars und Lounges stellen sich mit wenigen Ausnahmen als verblüffend enttäuschend heraus.

Die erste Disqualifikation spreche ich dem Time Supper Club (997 Saint Jacques) aus. Ein einziger Gin verliert sich im verspiegelten Rückbuffet und Fruchtsaft kommt aus dem Tetrapack (!). Was habe ich hier verloren? Das die Antwort nur „Nichts!“ sein kann, wird mir bald klar. Denn sprach- und ratlos steht der Barkeeper hinter seinem klebrigen Tresen, als ich auf die Antwort meiner Frage warte, welchen Cocktail er mir auf Vodkabasis kredenzen könnte. Außer einem Vodka Martini fällt ihm nämlich nichts ein. Abdankend und kopfschüttelnd bestelle ich Wein, der mir eine Lehre sein sollte. Ohne überhaupt gewusst zu haben, was ich trank (die Frage war klassisch: „Rot oder weiß?“ – ein schlechtes Zeichen) verlangt die Rechnung für den Essig völlig ungerechtfertigte $15 (ca. 11€). Empört verlasse ich die Bar des eigentlich nicht hässlichen Restaurants, in deren Art es viel zu viele gibt.

In der A GoGo Lounge (3682 Saint Laurent) setzt sich das Drama fort. In Neonfarben beleidigt die schlechteste, kitschigste und plastiklastigste aller der bisher besuchten Bars das Auge. Ähnliche, wenn auch nicht ganz so kitschige Kaliber fahren die Sofa Lounge (451 Rachel Est)und die Jello Bar (151 Ontario Est) auf, in denen es angeblich auch Cocktails gäbe. Erstere ist ein düsterer Schuppen mit Totenlichtern, die zweite ein Studentenheim mit live Bands. Ich verzichte.

Im Vergleich dazu ist die Mile End Bar (5322 Saint Laurent) das geringste Übel. In fragwürdiger Umrahmung von riesigen lackierten Holzplatten als Wand- und Deckendekorationselemente heißt das IKEA-Flair den Seifenopergucker an Bistrotischen auf Kunststoffstühlen willkommen. Es gibt eine zweite Ebene, das Restaurant, das mich nicht nach dem Anblick der ersten nicht mehr interessiert. Aber immerhin kennt die freundliche Barkeeperin Begriffe wie Cosmopolitan oder Martini. Eine Karte gibt es jedoch nicht. Auf dem Regalbrett an der Tresenrückwand lassen die ca. 40 Spirituosen auf wenig kreative Entfaltung hoffen.
Rat suchend wende ich mich an Angus Winshester, der mich daraufhin mit dem Fachmann für kanadische Gastronomiehilflosigkeiten Mike McLean aus Oakville (Ontario, Kanada) bekannt macht. Mike empfiehlt mir die wahrscheinlich beste Bar Montreals, die Bar La Distillerie(300 Rue Ontario Est).
Destillerie
Im Irish Pub Stil, rustikal schwarz und hölzern, posiert in ihrer Raummitte ein riesiges Holzfass. Die Tresenplatte ruht auf aneinander gereihten kupfernen Alambic Brennblasen vor einem umfangreichen Flaschensortiment. Davor der Barkeeper, der zu wissen scheint, was er tut. Die Karte bietet eine stattliche Auswahl an Cocktails an, erweitert durch mit Kreide an die Wand Geschriebenes wie Bombay Smash oder Very Berry-Tini.

Mike´s weiteren Empfehlungen zum trotze besuche ich L´Assommoir Bernard Inc. (112 Rue Bernard Ouest) nicht. In guter Erinnerung an die Water Bar im W Hotel in Sydney vermute ich Ähnliches in der Otto Ristorante & Bar (901 Square Vicoria) des Montrealer W Hotels. Rowena, die Barkeeperin, ist sehr freundlich und bemüht, einige für Montreals Verhältnisse recht ausgefallene Drinks zu schütteln. Quietisch rot durchleuchtet der Plastiktresen diese von unten. Die Spirituosensammlung der Restaurant Bar ist schmal im Vergleich zur zweiten Bar des Hotels, der Club Bar. Dafür beleidigt letztere manch Auge und verwöhnten Gaumen. Unterdurchschnittlich mixen verstrahlte Barkeeper umgeben von Unmengen beleuchteten Kunststoffs unter geschwungenen bunt leuchtenden 60er Jahre Kunststoffdeckenelementen nichts Besonderes.
Schade, Montreal! Oder in Mikes Worten:
“Unfortunately, the Montreal bar scene is much like the bar scene in the rest of Canada where good cocktail bars are hard to come by. We are working to try and change that, but it is a long and challenging process.“

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